Mittwoch, 30. August 2017

Geburtsbericht (Fazit)

Ich hatte immer wahnsinnige Angst vor einer Sectio. Meine Hebamme war beim Kennenlerngespräch schon alarmiert in Richtung Wochenbettdepression, weil ich in meinem Leben nicht immer ein glücklicher Mensch war (von "Depression" würde ich aber nicht sprechen). Außerdem hatte ich ja keinen alles verzehrenden Kinderwunsch, dafür aber starke Beschwerden in der Schwangerschaft und freute mich insgesamt nicht so sehr auf mein Kind, wie ich es mir irgendwann mal ausgemalt hatte. Und in Summe dieser Faktoren war mir absolut klar: sollte ich eine Sectio haben, klappt überhaupt nichts mehr. Dann baue ich ganz sicher keine Bindung zum Kind auf, Stillen funktioniert nicht und die Wochenbettdepression ist reine Formsache.
Das Witzige ist: all diese Sorgen habe ich quasi während der OP vergessen. Tatsächlich habe ich im Angesicht meines Babys nicht die überschwängliche Liebe verspürt, die mir im Geburtsvorbereitungskurs versprochen wurde. Aber anstatt Panik darüber zu bekommen dachte ich nur "Okay, könnte an den fehlenden Hormonen liegen. Mal abwarten.". Und das war genau richtig. Die Liebe kam mit der Zeit, es hat nur ein paar Tage gedauert. Und es war okay, weil ich kein Problem daraus gemacht habe. Übrigens: als ich hinterher mit den anderen Müttern aus dem Geburtsvorbereitungskurs gesprochen habe, haben das ALLE bestätigt. Auch jene, die vaginal entbunden haben, hatten keinen magischen Mutterliebemoment nach der Geburt. Mit dem Stillen hatte ich zwar ein paar Probleme (vor allem Schmerzen), aber auch da wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie auf die Sectio zurückzuführen. Und nach ein paar Tagen Zuhause wunderte ich mich, warum meine Hebamme mich so komisch fragt, wie es mir geht, wie ich drauf bin. Ich hatte das erhöhte Wochenbettdepressionsrisiko schlicht und ergreifend vergessen. Mehr noch: ich hatte nicht nur keine Wochenbettdepression, ich hatte nicht einmal einen Anflug von Babyblues. Und auch die Sectio selbst fand ich nicht schlimm. Ich habe grundsätzlich kein Problem mit Krankenhäusern, finde sterile Umgebungen ästhetisch und Operationen spannend. Außerdem war die Situation wie beschrieben sehr ruhig und entspannt. Meine Narbe ist übrigens ein Meisterwerk: wesentlich kürzer als erwartet und hauchzart (okay, sie war hauchzart, bevor das Baby sie breitgetreten hat). Ich bin ernsthaft total begeistert von ihr und würde sie überall rumzeigen, wenn sie nicht so verdammt tief sitzen würde. Eines muss ich aber sagen: die postoperativen Schmerzen waren wirklich, wirklich, wirklich schlimm und ich war sehr dankbar für jedes Schmerzmittel, das mir angeboten wurde.
Alles in allem bin ich mit dem Ergebnis der Geburt bzw. der Sectio total zufrieden. Und trotzdem leide ich wahnsinnig darunter, wie es gelaufen ist. Weil ich mich um eine natürliche Geburt betrogen fühle. Weil ich Geburtsberichte lese mit Aussagen wie "Ich habe mich hinterher gefühlt, als könne ich alles schaffen." und Begriffen wie "Urgewalt" und weil ich das nicht erleben durfte und wahrscheinlich auch nie werde. Denn selbst wenn ich noch einmal schwanger werden sollte, ist eine vaginale Geburt einfach unwahrscheinlich. Selbst wenn ich noch einmal einen Versuch einer spontanen Entbindung unternehmen würde (und ich weiß nicht einmal, ob ich das im Angesicht der ersten Geburt wollen würde), selbst dann ist es sehr wahrscheinlich, dass am Ende doch eine Sectio stattfindet.
Ich bin wahnsinnig wütend und enttäuscht deswegen und ich glaube das Schlimme ist, dass ich niemandem die Schuld dafür geben kann. Das Krankenhaus hat nichts falsch gemacht. Meine Gynäkologin hat nichts falsch gemacht. Nichtmal ich selbst habe was falsch gemacht. Ich hatte einen vorzeitigen Blasensprung aber das Baby kam nicht raus und es fällt mir so unglaublich schwer, das zu akzeptieren. Ich liege nachts wach und denke "Vielleicht hätte ich den Einlauf nicht ablehnen sollen." oder "Vielleicht hätte ich das minimale Fruchtwasserreservoir vorm Kopf öffnen lassen sollen." aber am Ende ist das alles Unsinn. Der Muttermund hat sich in vier Stunden starker Wehen erst einen halben Zentimeter und dann gar nicht mehr weiter geöffnet.
Ich kenne mittlerweile drei mögliche Ursachen für diese Entwicklung:
1. Es war zu früh. Der Blasensprung war Ende der 36. Schwangerschaftswoche und auch wenn das Baby gut entwickelt war und keinerlei Anpassungsprobleme hatte (es wurde aber dank Wehentropf auch reichlich auf die bevorstehende Geburt eingestimmt), hätte mein Körper vielleicht noch ein oder zwei Wochen gebraucht, um sich vorzubereiten. Außerdem ist ja tatsächlich nur ganz wenig Fruchtwasser abgegangen und hätte ich nicht getestet und wäre ins Krankenhaus gefahren, hätte ich womöglich gar nichts davon bemerkt. Ebenfalls nicht bemerkt hätte ich dann aber die steigenden Entzündungsparameter und ich will gar nicht darüber nachdenken, welche Konsequenzen das hätte haben können.
2. Cephalo-Pelvines Missverhältnis. Das zumindest hat der Operateur in den OP-Bericht geschrieben und der hat sich mein Becken ja genauer ansehen können. Es würde auch erklären, warum der Muttermund sich patrout nicht hat öffnen wollen, wenn nämlich der Kopf nicht vernünftig ins Becken eintreten konnte, um Druck auf den Muttermund auszuüben.
3. Nabelschnurumschlingung um den Hals. Sehr spekulativ aber im OP-Bericht steht halt weder, wie oft die Nabelschnur um den Hals lag, noch in welchem Abstand zur Plazenta sie das getan hat. Wenn nun das Stück zwischen Plazenta und Kopf recht kurz war, hätte das ebenfalls ein Eintreten des Kopfes in das Becken verhindert und würde außerdem das teilweise eingeengte CTG erklären.

Übrigens: keine Ursachen für die Sectio waren Hebammenmangel, Klinikalltag oder Kostendruck. Das Wort "Sectio" wurde überhaupt erst in den Mund genommen, als ich am vierten Tag aktiv danach gefragt habe und ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, zu irgendwas gedrängt zu werden.

Vielleicht zum Ende: was ist auf der Haben-Seite (Nein. Ich will nicht sagen, dass sich eine Sectio "lohnt". Aber wo ich sie doch schon hatte, kann ich ja wohl mal kurz über die Vorteile nachdenken. Danke.)?
- Meine Scheide ist noch top in Form.
- Mein Darm ist da, wo er sein sollte.
- Ich habe keinen Kontrollverlust oder gar Gewalt unter der Geburt erlebt. 
- Für den Gatten gab es keine Situation, die für ihn zu viel gewesen wäre (er hat es nicht so mit Blut).
- Das Baby hatte direkt einen sehr hübschen, runden Kopf.
- Ich hab eine tolle Narbe, die mich immer an mein Baby erinnern wird.

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