Donnerstag, 10. August 2017

Geburtsbericht (7)

Als die Infusion abgedreht wird, hören die Wehen sofort auf. Mein Körper will einfach nicht und das ist jetzt okay. Die PDA behalte ich noch, sie soll für die Sectio verstärkt werden. Deshalb brauche ich einige Hilfe, als ich vom Kreißbett in mein eigenes Bett krabbeln soll. Ich werde auf das kabellose CTG umgestellt und ziehe mein OP-Outfit an (bzw. werde angezogen). Der Gatte informiert seine Eltern über die bevorstehende Sectio, ich sehe bei meiner Mutter davon ab, weil sie am Nachmittag arbeitet und sich keine Gedanken machen soll. Ich darf ab sofort nicht mehr trinken und warte. Erst gegen 18 Uhr kommt die Hebamme, um den Gatten und mich abzuholen. Als ich bei den Unterlagen in ihrer Hand das U-Heft meines zukünftigen Kindes sehe, das U-Heft eines Menschen, der erst noch geboren wird, wird mir so richtig bewusst, was gleich passieren wird. Die ganze Situation ist unwirklich.
Wir fahren mit dem Aufzug in den OP-Bereich und werden von der Anästhesistin in Empfang genommen. Ich begrüße sie mit "Sie sind also meine Verbündete, die dafür sorgt, dass ich die Aktion hier überlebe, während alle anderen sich um das Gegenteil bemühen." und das gefällt ihr (AnästesistInnen! <3). Sie erwägt, die PDA direkt im OP aufzuspritzen, entscheidet sich dann aber dagegen, weil ihr die Operateure dabei zu viel Stress machen. Der Gatte wird zum Umziehen geschickt und ziehe von meinem Bett auf eine Liege, mit der ich in die Narkoseeinleitung geschoben werde, wo mir ein EKG angelegt wird. 
Die Anästhesistin injiziert einen erneuten, großzügigen Bolus in meinen Katheter und wir warten ein paar Minuten, in denen sich die Wirkung vollständig entfalten soll. Die Hebamme fragt nun, wie das Baby heißen soll. Ich erwäge kurz, über den Kopf des Gatten hinweg meinen favorisierten Namen zu nennen, entscheide mich dann aber doch für unseren Kompromiss "für den Fall, dass wir uns bis zur Geburt auf nichts anderes einigen". Ich erzähle der Anästhesistin, dass ich selbst auch schon am stumpfen Ende der Nadel stand und was ich mittlerweile beruflich mache. Letzteres sorgt (wie üblich) für eine kurze gesundheitspolitische Diskussion die aber immerhin die Wartezeit überbrückt. Schließlich ist die Anästhesistin der Meinung, dass ich keinen Schmerz mehr spüren sollte. Ich bin da anderer Meinung und sie injiziert eine weitere Dosis Lokalanästhetikum. Wieder vergehen ein paar Minuten, nach denen ich kein Schmerzempfinden haben soll. Sie zwickt mich und es tut weh. Nur ein bisschen aber es ist definitiv Schmerz, nicht nur Berührung. Die Anästhesistin wird langsam nervös, weil wir schon so lange in der Einleitung sind und die Gynäkologen auf uns warten. Ich sage ihr, dass ich die Naht-Schnitt-Zeit ja nicht kaputt machen will aber es tut eben weh. Ich habe Angst, dass ich während der Sectio Schmerz spüre und dann unter der OP eine Vollnarkose bekomme. Sie holt Eisspray und sprüht auf meinen Bauch. "Ist kalt." - "Kann nicht sein." - "Ist aber so." Sie holt eine Klemme und kneift mich. "Aua." - "Wir machen eine Spinale!" Die Hebamme informiert das OP-Team, dass es noch dauert. Ich soll mich hinsetzen und bevor mir jemand dabei helfen kann, ziehe die Beine an und schwinge sie über die Kante der Liege. Die Anästhesistin ist außer sich, dass ich diese Bewegung trotz der zweifach verstärkten PDA ausführen kann und nun absolut überzeugt davon, dass eine Spinalanästhesie notwendig ist. Sie zieht mir den Periduralkatheter und beginnt mit einem Pfleger zusammen die notwendigen Vorbereitungen. Die Hebamme kommt zurück und stützt mich von vorne, während ich versuche, einen möglichst runden Rücken zu machen. Dank der ja trotz allem ziemlich starken PDA ist das sehr schwierig aber immerhin merke ich nicht, was hinter mir alles passiert. Die Anästhesistin fragt mich, ob ich so ganz allgemein Rückenschmerzen habe ("Nö?") und schimpft, weil sie keinen Zugang zum Liquorraum findet. Während ich an die Hebamme gelehnt in völliger Regungslosigkeit verharre, meldet sich mein EKG, weil mein Puls erst unter 60 und dann unter 50 Schläge pro Minute sinkt. Ich mache Witze über meinen Leistungssportlerpuls, bekomme aber trotzdem Atropin und Akrinor verabreicht, was mein Herzchen zuverlässig wieder in Schwung bringt. Je öfter die Anästhesistin an meinem Rücken scheitert, desto ängstlicher werde ich, dass es nun doch auf eine Vollnarkose rausläuft. Das lange Sitzen in gebückter Haltung ist wahnsinnig anstrengend und außerdem bekomme ich großen Durst. Mein Gedanke ist nicht "Wenn das hier vorbei ist, habe ich mein Baby." sondern "Wenn das hier vorbei ist, darf ich endlich was trinken.". Ich weiß nicht, wie oft genau die Anästhesistin es auf C3/4 und C4/5 sowohl median als auch paramedian versucht aber am Ende wählt sie den lateralen Zugang und ehe ich mich versehe, ist mein Körper unterhalb meiner Brust einfach weg. Ich werde schnell hingelegt und um 19.09 Uhr in den OP gefahren. Auf dem Weg merke ich, dass meine Nase zuschwillt.

Die nächsten Ereignisse bekomme ich nicht mehr 100%ig in die richtige Reihenfolge aber das ist unwichtig, glaube ich. Nur mein rechter Arm wird fixiert (der mit der Venenverweilkanüle), der linke liegt so rum. Die Anästhesistin bietet mir an, mir ein bisschen Dormicum zu spritzen, wegen der Strapazen der Narkose. Ich lehne hektisch ab, weil ich von der Geburt möglichst viel mitbekommen will. Das CTG wird endlichendlichendlich ausgestellt und herrliche Stille breitet sich aus. Ein Handtuch wird vor meinem Kopf installiert und dann kommt endlich der Gatte, der nun über eine Stunde im Umkleideraum gewartet hat. 

Der operierende Oberarzt stellt sich mir vor. Das vor meinem Gesicht hängende Handtuch ist so klein, dass der Gatte drübergucken kann und er äußert diesbezüglich Bedenken, es wird aber noch ein größeres, steriles Tuch davor gehangen. Ich sage zur Anästhesistin, dass ich ja noch einen Blasenkatheter brauche und sie sagt, dass ich den schon habe. Ich bin erschüttert, weil ich durch die Spinalanästhesie nicht einmal merke, wenn mir die Beine aufgestellt werden. Ich sage zur Anästhesistin, dass ja gleich noch der Team-Time-Out kommt und sie sagt "Der war schon.". Ich kann nicht fassen, dass ich den verpasst habe. Meine Nase ist mittlerweile komplett dicht und mein Mund vom nichts-Trinken, durch-den-Mund-Atmen und wohl auch ein bisschen durch das Atropin staubtrocken, sodass ich nicht mehr sprechen kann. Die Anästhesistin schickt meine Hebamme zurück auf Station, um mir Nasentropfen zu holen. Ich bin unheimlich müde und dämmere während des ganzen Eingriffs immer wieder weg, auch ohne Dormicum. Das Atmen fällt mir zusätzlich schwer, weil sich mein Oberkörper durch die Spinalanästhesie bleischwer anfühlt. Die Anästhesistin fragt in den Raum, ob die Kinderärzte schon da sind und erklärt mir, dass sie mit Absicht den Plural verwendet, weil die Kinderärzte immer im Rudel kommen. Irgendwann wird die Anästhesistin unruhig und fragt, wo die Hebamme bleibt. Als die endlich wieder da ist, verabreicht mir die Anästhesistin die Nasentropfen und ich kann endlich wieder durch die Nase atmen und meinen Mund so lange schließen, dass er sich wieder befeuchtet. Ich bin unheimlich glücklich, dass ich vor der Geburt wieder richtig atmen kann. Schnitt ist um 19.23 Uhr. Die Anästhesistin sagt "Das könnten Sie jetzt merken." aber ich merke gar nichts. Dann doch ein Ruckeln und Druck unterhalb der Brust. Laut OP-Bericht muss mein Kind von einer Nabelschnurumschlingung befreit werden. Jemand jenseits vom Tuch sagt "Neunzehn Uhr fünfundzwanzig." Ein kurzes Quäken. Ich weine. Die Hebamme kommt mit meinem in ein Handtuch gewickelten Baby und legt es mir auf die Brust. Es ist ein bisschen blutverschmiert, sein Gesicht ist stark angeschwollen und ich denke "Das sieht aber komisch aus.". Dann nimmt sie das Baby und den Gatten mit zu den Kinderärzten im Nachbarraum, wo die U1 stattfindet. Die Stimmung ist sehr entspannt und es fühlt sich alles nicht so hektisch an, wie es im Fernsehen aussieht, wo die Babies immer für 0,2 Sekungen direkt vor die Nase der Mutter gehalten werden und dann wieder verschwinden. Das Baby erhält derweil 9 Punkte beim ersten APGAR-Test (wegen blauer Extremitäten) und der Gatte darf die Nabelschnur kürzen. Ich frage die Anästhesistin, was die Chirurgen gerade machen aber sie sagt nur "Die nähen da so ein bisschen rum." und will mir offenbar keine Detailinformationen geben. Schade. Nach der U1 wird mir das schlafende Baby wieder auf die Brust gelegt und sieht überhaupt nicht mehr komisch aus. Ich halte es mit dem linken Arm fest und mein rechter Arm wird gelöst, damit ich es anfassen kann. Ich spüre fast nichts, weil ich durch die Wassereinlagerungen in der Schwangerschaft ein Karpaltunnelsyndrom habe und fast alle Finger taub sind. Ich streichele es mit dem kleinen Finger am Kopf. Der Gatte versorgt mich mit den Eckdaten der U1. Das Nähen geht erstaunlich schnell (Naht um 19.42 Uhr; Schnitt-Naht-Zeit: 19 Minuten), die Hebamme nimmt mir am Ende das Baby ab und schickt den Gatten wieder in den Umkleideraum. Dann wird um mich herum aufgeräumt und die Ärzte gratulieren mir. Ich denke: “Ich hab ja nichts gemacht. Ich habe hier nur gelegen.” 


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